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Wach- & Schließ­ge­sell­schaft Deutsch­land. Sicher­heits­men­ta­li­täten in der Spätmoderne

30. Januar 2008
Datum: Mittwoch, 30. Januar 2008

Öffentlichen Vortrags- und Diskussionsveranstaltung
mit Dr. Daniela Klimke

Heutzutage scheinen wir geradezu umstellt von Risiken, die akut das Leben bedrohen. Die Verletzbarkeit der Subjekte gerät zum zentralen politischen Aktionsfeld. Gerade die bedrohte Innere Sicherheit bietet sich zur kollektiven Mobilisierung an, und zwar in Form der Beteiligung an der Sicherheitsherstellung bis hin zu moralischer Entrüstung, um sich gemeinschaftlich hinter der Regierung gegen die Feinde der Gesellschaft in Stellung zu bringen.
Alltagskriminalität erscheint als Risiko, dessen private Bewältigung im Rahmen der Selbstvorsorge auch Laien abverlangt werden kann. Es bestehen darüber hinaus Initiativen, Kriminalität als Gemeinschaftssache, mithin als Problem kollektiver Betroffenheit zu rahmen, an dessen Lösungsstrategien sich Bürger gemeinsam mit staatlichen Sicherheitsvertretern beteiligen können. Kriminalität gesellt sich damit zu einer ganzen Reihe anderer individualisierter Präventionsaufgaben, die im Bereich der Daseinssicherung angesiedelt sind.

„Das Böse“ gewinnt mit dem Biologismus an Bedeutung, das ein Verständnis innerer prädeterminierter Gefährlichkeit suggeriert. Die Behandlung des Problems wird über (technische) Kontrolle der Gefahren geleistet, v.a. durch das Wegsperren der Risikoträger hinter sicheren Gefängnismauern. Wenn die sozialen Bedingungen von Kriminalität vernachlässigt werden, dann schnellen die Gefangenenraten in die Höhe. Diese Ausschließungspolitik beruft sich auf eine rationale, an Risikopotenzialen orientierte Kriminalitätskontrolle. Zugleich schlägt sie politisches Kapital aus dem unnachgiebigen Wegschluss.

Die Instrumentalisierung der Kriminalität kann als ein Versuch verstanden werden, ein Stück von der staatlichen Souveränität zurück zu gewinnen, die im Zuge der globalen ökonomischen Machtübernahme verloren gegangen ist. Doch nicht nur lässt sich mit der unnachgiebigen Exklusion gesellschaftlicher Feinde die „Krise der Regierung“ (Michel Foucault) verdunkeln, sondern ebenfalls die Bedrängnisse der postmodernen Lebensführung abfedern. Eine partielle Umkodierung von Risiko auf Gefahr im Bereich der gefährlichen Kriminalität entlastet von spätmodernen Anforderungen an die Subjekte und verspricht soziale Fürsorge.

Der Viktimismus entschärft die persönlichen Risikozumutungen. Er hebt die Vereinzelung individueller Selbstsorge zugunsten einer Gemeinschaft von Betroffenen auf – auch wenn sie nur als gedachtes Kollektiv aus gefühlten und potenziellen Opfern besteht. Gemeinsame Feinde können als essentiell Andere betrachtet werden, die durch eine moralische Schneise von Gut und Böse von der vorgestellten Gemeinschaft sicher geschieden sind. Atavistische Rachsucht und Vergeltung dürften sich angesichts der Gefahren gegen die Gemeinschaft der Opfer Geltung verschaffen und die ansonsten abverlangte Rationalität für einen Moment vergessen machen. Und nicht zuletzt lässt sich ein Adressat der Forderungen nach Ausschluss und Bestrafung der Feinde ausmachen. Für die Abwehr „des Bösen“ zeigt sich der Staat verantwortlich.

Souveräne Staatlichkeit und umsorgte Subjekte grundieren in idyllischer Rückbetrachtung die kurze Epoche wohlfahrtsstaatlicher Organisation des Sozialen, die in den Bevölkerungsmeinungen bis heute fortwirkt. Die Bürger halten in ihren Einstellungen zum Staat und seinen Institutionen, zur Selbstsorge und zur Kriminalität mehrheitlich an den Ideen vergangener Zeiten fest.

Als auffällig und skandalös mögen die marktgesellschaftlichen Begriffe von einer kritisch-informierten Minderheit wahrgenommen werden. Der neoliberale Umbau der Verhältnisse erscheint der Bevölkerung in weiten Teilen schlicht zu entgehen, als dass man sich darüber erregen könnte. Dieses Beharrungsvermögen, mit dem wohlfahrtsstaatliche Gerechtigkeits- und Inklusionsideen hochgehalten werden, geht auf tief verankerte Sicherheitsmentalitäten zurück, die sich in der wohlfahrtsstaatlichen Epoche ausgebildet haben und dem neuen Wind der Neoliberalisierung (noch) trotzen.

Mit Feinderzählungen lassen sich jedoch diese ansonsten stabilen Sicherheitsdispositionen für neue kriminalpolitische Strategien öffnen. Einfallstore für eine neoliberalisierte Risikopolitik können mit den Figuren des Kinderschänders und des fremden Terroristen hergestellt werden. Sie haben den strategischen Vorteil, eine große Opferidentifikation hervorzurufen, mit der wohlfahrtsstaatliche Vorstellungen einer sozialen Bedingtheit und resozialisierenden Behandlung von Kriminalität leicht aufgebrochen werden zugunsten eines imaginierten sozialen Reinheitszustandes über rückhaltlosen Ausschluss gesellschaftlicher Feinde. Damit entfalten diese Figuren die Überzeugungskraft, mit der ein Sicherheitsstrafrecht installiert werden kann.

Einstweilen aber kann Entwarnung gegeben werden: Kriminalität gehört zum politischen und medialen Dauerbrenner, und auch die Bevölkerung erregt sich moralisch über diese Feindfiguren, aber ein lebensweltliches Problem ‚Innere Sicherheit‘ gibt es bislang nicht.

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